Vorsicht: COPD-Patienten haben ein erhöhtes Sturzrisiko (2024)

Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) haben ein erhöhtes Sturzrisiko verglichen mit älteren Menschen ohne COPD. Dies ergab eine prospektive Studie aus Australien, die vor kurzem in der Fachzeitschrift Respirology erschienen ist [1]. Danach erleiden 40% der selbstständig lebenden älteren COPD-Patienten innerhalb eines Jahres mindestens einen Sturz, und 75% dieser Patienten stürzen mehrfach.

Die Häufigkeit von Sturzunfällen war damit höher als die bei älteren Menschen sonst in Studien in der Allgemeinbevölkerung gefundene Prävalenz, die bei Senioren laut einer Studie aus dem Jahr 2011 bei rund 30% liegt. Zu den Faktoren, die mit dem erhöhten Sturzrisiko einhergehen, gehören Rauchen, die Einnahme mehrerer Medikamente, Komorbiditäten, Angst vor dem Fallen sowie Sturzerlebnisse in der Vergangenheit. „Die Resultate könnten für die Entwicklung von Präventionsstrategien nützlich sein", meint Dr. Cristino Oliveira vom Fachbereich Physiotherapie an der School of Health Sciences der Universität Melbourne in Australien in einer Pressemitteilung.

Vorsicht: COPD-Patienten haben ein erhöhtes Sturzrisiko (1)

Dr. Manfred Gogol

„Es handelt sich um eine interessante Studie, allerdings mit einer relativ kleinen Fallzahl und ersten, vorläufigen Ergebnissen“, kommentiert Dr. Manfred Gogol, Chefarzt der Klinik für Geriatrie am Krankenhaus Lindenbrunn in Coppenbrügge im Gespräch mit Medscape Deutschland. Allerdings lenke sie die Aufmerksamkeit auf ein zu wenig wahrgenommenes Problem: „Ärzte und ihre Patienten sollen in Zukunft mehr anerkennen, dass die COPD eine systemische Erkrankung ist, die nicht nur die Lunge betrifft“, fordert Gogol. Außerdem sollten Sturz und Sturzrisiko bei älteren Menschen eher als eine echte Gefahr verstanden werden. „Bei beiden Punkten müssen wir Ärzte gezielt intervenieren und Präventionsmaßnahmen vornehmen“, rät Gogol.

Die Studienautoren unterstreichen die Bedeutung ihrer Beobachtungen auch mit dem Vergleich zu anderen Erkrankungen: „Die Prävalenz von Stürzen bei COPD Patienten mit 40% ist ähnlich hoch wie bei neurologischen Erkrankungen und Parkinson (35% bis 90%) und bei Senioren nach einem Schlaganfall (40 bis 73%)“, schreiben die Autoren.

Die COPD belastet das Gesamtsystem Mensch

COPD-Patienten sollen körperlich aktiv sein und gezielt trainieren, insbe- sondere die Muskel- kraft und auch Gleichgewichts- reaktionen. Dr. Manfred Gogol

Stürze sind der häufigste Grund von Verletzungen bei älteren Menschen und verursachen oft gesundheitliche Probleme, den Verlust der Unabhängigkeit, eine Verminderung der Lebensqualität und eine erhöhte Sterblichkeit.

„Eine schwerwiegende Systemerkrankung wie die COPD belastet das Gesamtsystem Mensch nochmal mehr als die ‚normalen‘ Altersveränderungen“, erklärt Gogol und fügt hinzu: „Insofern ist das vermehrte Auftreten von Stürzen durchaus plausibel“.

Die australischen Wissenschaftler untersuchten Prävalenz, Inzidenz und Risikofaktoren für Stürze bei insgesamt 41 selbständig lebenden klinisch stabilen COPD-Patienten mit einem Durchschnittsalter von 71 Jahren über einen Zeitraum von 12 Monaten. Alle Studienteilnehmer der prospektiven vorläufigen Kohortenstudie hatten laut Einschätzung der Forscher eine eingeschränkte Lungenfunktion von 45,1% ± 16,2%, gemessen an der Einsekundenkapazität.

Ärzte und ihre Patienten sollen in Zukunft mehr anerkennen, dass die COPD eine systemische Erkrankung ist, die nicht nur die Lunge betrifft. Dr. Manfred Gogol

Zu den Ausschlusskriterien der Studie gehörten symptomatische Herzkreislauferkrankungen, sowie neurologische oder Muskel-Skelett-Erkrankungen, die das Gleichgewicht beeinträchtigen.
Oliveira und seine Kollegen dokumentierten sowohl demografische Informationen der Studienteilnehmer als auch Daten zur körperlichen Funktionsfähigkeit wie Gleichgewicht, Muskelkraft und Angst vor dem Fallen.

Die Teilnehmer trugen ihre Stürze in einen Kalender ein, den sie monatlich per Post zurücksendeten. Über jeden aufgezeichneten Sturz holten die Wissenschaftler telefonisch weitere Informationen ein und dokumentierten die Art des Sturzes, erlittene Verletzungen und die erforderliche Gesundheitsversorgung.

Häufigste Sturzursache: Überkopf-Arbeiten

Das Ergebnis: 40% der COPD Patienten erlitten Stürze, 75% davon fielen sogar mehrfach hin. Die Sturzprävalenz von selbständig lebenden Senioren liegt demgegenüber einer französischen Studie zufolge nur zwischen 29% und 33%. In der Regel stürzten die Patienten drinnen (63%), meist bei Überkopf-Arbeiten im Stehen (46%). Insgesamt 13 Sturzunfälle (33%) verursachten leichte Verletzungen, z.B. Schnittwunden und Prellungen, ein Sturz führte zu einer Hüftfraktur.

Bei Überkopf-Arbeiten kommt es laut Gogol – nachvollziehbar – eher zu Stürzen: „Das Typische sind Gardinenaufhängen oder Fenster wischen – solche Aktivitäten machen schwerer betroffene Patienten seltener“, so Gogol.

Zu den Risikofaktoren, die mit einer höheren Sturz-Inzidenz bei COPD-Patienten assoziiert waren, gehörten hoher Zigarettenkonsum, die Zahl der Komorbiditäten und Menge der eingenommenen Medikamente, außerdem die Tatsache, dass der Patient bereits im vorausgegangenen Jahr gestürzt war, die Angst vor dem Fallen sowie ein ungünstiges Ergebnis in einem Risiko-Score, der per Fragebogen ermittelt wurde.

Nach Korrektur für das Alter der Patienten waren nurmehr der Zigarettenkonsum, die Anzahl der Begleiterkrankungen und Stürze in der Vergangenheit mit einer erhöhten Sturzinzidenz assoziiert.

COPD-Sturz-Risiken – hängen sie mit dem Schweregrad der Erkrankung zusammen?

Für Gogol bleiben noch Fragen offen: „Gibt es eine Korrelation zwischen dem Sturzrisiko und dem Ausprägungsgrad der COPD?“, fragt der Geriater. Dazu fand die Studie überraschenderweise, dass eine schwere pulmonare Funktionseinschränkung, z.B. bei Patienten, die mit Sauerstoff versorgt werden, sogar mit einem geringeren Sturzrisiko einherging (Inzidenzratenverhältnis IRR: 0,21). „Vielleicht sind diese Patienten schon so immobil, dass sie mehr in Begleitung laufen, oder sie sind insgesamt weniger körperlich aktiv oder mobil“, vermutet Gogol.

Er betont, dass die Auswirkungen einer COPD auch außerhalb des respiratorischen Systems untersucht gehören. Gogol selbst ist lokaler Studienleiter der geriatrischen Subkohorte der großen deutschen COPD-Studie COSYCONET. Es handelt sich um eine Kohortenstudie, die die Bedeutung extrapulmonaler Organmanifestationen einer COPD und deren Folgen für den Verlauf einer COPD untersucht.

Gogol gibt seinen COPD Patienten zur Sturzprävention vor allem allgemeine Empfehlungen wie: „Für ausreichend Beleuchtung sorgen, Stolperfallen in der Wohnung reduzieren, festes Schuhwerk tragen, auch wenn die Patienten nachts aufstehen“, und ergänzt: „Generell rate ich meinen Patienten aber nicht zu einer größeren Inaktivität, nur um Stürze zu vermeiden. Im Gegenteil: COPD-Patienten sollen körperlich aktiv sein und gezielt trainieren, insbesondere die Muskelkraft und auch Gleichgewichtsreaktionen“. Auch eine ausreichende sowie qualitativ hochwertige Ernährung mit ausreichender Proteinzufuhr für die Muskulatur sei wichtig.

Der Geriater fordert weitergehenden Untersuchungen, da Patienten mit Herzinsuffizienz von der Studie ausgeschlossen waren. „COPD-Patienten haben jedoch je nach Schweregrad zu 30 bis 50 Porzent eine Herzinsuffizienz sowie andere chronische Erkrankungen“, bemerkt Gogol. Auch sei aufgrund der kleinen Fallzahl nicht klar, welche Faktoren wirklich eine Rolle spielen.

„Diese Studie sollte mit einer größeren Fallzahl repliziert werden“, lautet daher sein Fazit. Viel größere, multizentrische Studien, um zusätzliche Risikofaktoren zu erfassen und die aktuellen Resultate zu bestätigen, das fordern auch die Studienautoren.

REFERENZEN:

1. Oliveira C, et al: Respirology (online) 24. Juli 2015

Vorsicht: COPD-Patienten haben ein erhöhtes Sturzrisiko (2024)
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Author: Geoffrey Lueilwitz

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